NaturFreunde Loisachtal realisieren Kampagne für Wertschätzung „systemrelevanter“ Berufe
Die Pandemie offenbart viele soziale Ungerechtigkeiten. Der verantwortungsvolle Umgang mit dem Virus und die gebotenen Kontaktbeschränkungen erwecken jedoch bei vielen Menschen den Eindruck, sie müssten auch ihr gesellschaftspolitisches Engagement einstellen. Dass dies keinesfalls so ist, zeigen die NaturFreunde Loisachtal: Sie starteten eine Kampagne, um auf die fehlende Wertschätzung „systemrelevanter“ Berufe aufmerksam zu machen.
Wenig Wertschätzung für unentbehrliche Arbeit
Während der ersten Welle gab es zumindest eine symbolische gesellschaftliche Solidarität. Für Pflegekräfte wurde geklatscht, vor Betrieben gesungen oder Nachtschichten Pizza gebracht. In der zweiten Welle war davon kaum noch etwas wahrzunehmen, obwohl diese auch im Loisachtal deutlich stärker ausfiel, als die erste.
„Die Covid-19-Stationen in unserem Landkreis waren voll belegt, viele Pflegeheime waren betroffen und die Notaufnahmen und Intensivstationen arbeiteten weit über der Normalbelastung“, berichtet Raimund Novak von den NaturFreunden Loisachtal, der selbst in einem sozialen Beruf arbeitet. Dass die Versorgung trotzdem funktioniert habe, sei vor allem dem persönlichen Engagement vieler Werktätiger zu verdanken gewesen. Gesellschaftliche Wertschätzung erfuhren diese in der zweiten Welle jedoch noch weniger als in der ersten. „Stattdessen hatten es Coronaleugner*innen und Egozentriker*innen geschafft, sich medial in den Vordergrund zu spielen“, so Raimund Novak. „Für uns war klar: Dem müssen wir etwas entgegensetzen!“
Auf die politische Dimension des Problems hinzuweisen, war der Ortsgruppe besonders wichtig. „Die Pandemie hat die sozialen Verwerfungen dieser Gesellschaft an vielen Stellen demaskiert“, meint Raimund Novak. „Viele von uns halten den Laden am Laufen, aber leben seit Jahren in Unsicherheit. Niedriglöhne und miese Arbeitsbedingungen sind gang und gäbe im Land. Wichtige Arbeit erfährt wenig Wertschätzung – in der Kranken- und Altenpflege ebenso wenig wie in der Lebensmittelindustrie, der Erziehung, auf dem Bau oder in der Reinigungsbranche. Die Erträge unserer Arbeit landen woanders. Die Konten der oberen fünf Prozent sind zum Bersten gefüllt. Auch die Frage, wer die Kosten für die Krise tragen wird, steht im Raum.“
Eine Kampagne für mehr Aufmerksamkeit
Die NaturFreunde Loisachtal sahen die Situation als Chance, gelebte Solidarität zu demonstrieren. Ihre Idee: eine Kampagne für mehr Wertschätzung der Personen, die durch ihre Arbeit das öffentliche Leben am Laufen halten – in Pflegeheimen, Kitas, im Rettungsdienst, in der Schule oder dem Krankenhaus. Sie beschlossen, in die Betriebe zu gehen und mit Arbeiter*innen aus den verschiedensten Bereichen ins Gespräch zu kommen. „Wir wollten, dass ihre Tätigkeit in der öffentlichen Wahrnehmung den Stellenwert bekommt, den er verdient“, so Raimund Novak. „Vor allem aber wollten wir sie wissen lassen, dass wir für die kommenden Auseinandersetzungen um bessere Arbeitsbedingungen an ihrer Seite stehen werden.“
Über Zoom-Konferenzen wurde die Kampagne in der Ortsgruppe geplant, ein Aktionsplan von Dezember 2020 bis März 2021 erstellt und die Aufgaben verteilt. Die Kampagne wurde in den lokalen Medien angekündigt und die Ortsgruppe richtete eine Facebook-Seite ein. Sie rief Vereine, Parteien und Privatpersonen dazu auf, mitzumachen und ihre Solidarität mit den Beschäftigten auszudrücken.
Über 250 Großplakate mit Street-Art-Motiven wurden gedruckt und in der Stadt ausgehängt, Buttons gestaltet, Solidaritäts-Briefe für die Arbeiter*innen verfasst und ihnen persönlich mit kleinen Aufmerksamkeiten wie Obst, Brötchen oder Schokolade ausgehändigt.
Die Stadtverwaltung Bad Tölz nahm der Ortsgruppe Plakate direkt ab und plakatierte diese an öffentlichen Plätzen. Andere Gemeinden reagierten ebenfalls sehr positiv auf die Großplakate. „Es gab vermutlich keine Plakatwand zwischen Kochel und Bad Tölz, an der nicht unsere Plakate hingen“, so Raimund Novak.
Die Botschaft kommt an
Die öffentliche Resonanz blieb nicht aus: Zwei große lokale Tageszeitungen widmeten der Kampagne Artikel in ihren Wochenendausgaben; die Facebook-Kampagne erreichte fast 7.000 Personen und wurde von Organisationen wie dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VdÄÄ), der SPD Oberbayern, der Königlich-Bayerischen Antifa, den JUSOS Oberbayern, der LINKEN Oberland sowie vereinzelten Abgeordneten verschiedener Parteien des Landtags, der Stadt- und Kreistage geteilt.
„Was uns natürlich am wichtigsten war: In den Betrieben kam die Aktion durchweg gut an“, so Raimund Novak. „Viele haben uns zurückgeschrieben und positives Feedback zur Kampagne gegeben. Dabei haben sie uns von ihren Sorgen aber auch Erfolgen im Kampf gegen die Pandemie erzählt.“ In vielen Betrieben hingen die Plakate vermutlich heute noch, vermutet er.
Die Stimmung in den Betrieben positiv beeinflusst zu haben war nur ein Teil des Erfolgs der Ortsgruppe. „Für uns war die Kampagne ungemein wichtig, da wir damit die Erkenntnis gewonnen haben, mit Kreativität auch unter schwierigen Umständen etwas zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen zu können“, meint Raimund Novak. Auch hätte die Ortsgruppe damit ein Gegengewicht zu Verschwörungserzählungen und Neu-Rechten Deutungsversuchen der Situation setzen können.
Die Kampagne ist im März 2021 beendet worden – bei der Ortsgruppe bleibt ein gutes Gefühl. „Es macht einen Unterschied, ob wir uns zurückerinnern und den Winter 2020/21 als eine Zeit des ausufernden Egoismus in Erinnerung behalten, dem wir hilflos gegenüberstanden. Oder ob wir zurückdenken und wissen, mit einer coolen Aktion etwas dazu beigetragen zu haben, die Stimmung zu drehen", meint Raimund Novak. "Solidarität war und ist eine große Stärke der Arbeiter*innenbewegung. Und wir NaturFreunde Loisachtal sind stolz, ein Teil davon zu sein“.